Bei dem Versuch, Klarheit zu schaffen im Zusammenhang mit der Differenzierung dieser drei Begriffe, beziehe ich mich zunächst auf das erste Kapitel des Buches von Paul U. Unschuld: „Was ist Medizin?“ In wissenschaftlicher Manier fragt er, was eine lebende Person von einer gerade Gestorbenen unterscheidet. In den ersten Augenblicken des Todes ist äußerlich kein nennenswerter Unterschied zu erkennen; irgend etwas habe den Körper verlassen, sodass Leben nicht mehr möglich ist. Er benennt das nicht Beschreibbare, das nicht Fassbare, als X. In der Wissenschaft bedeutet X ganz allgemein das Unbekannte. Demzufolge ist Leben minus X gleich Tod. Nachdem keine dezidierte Vorstellung von den genannten drei Begriffen besteht, nennt er X1 gleich Psyche, X2 gleich Geist, X3 gleich Seele und er fügt nach Maßgabe unserer heutigen, modernen Denkweise hinzu: X0 sei Energie. Das Unbekannte bzw. das Unwissen über diese drei Begriffe fasst er in einen vereinfachten Index X zusammen, womit es einerseits benannt und andererseits zum Ausdruck gebracht ist, dass alle drei in irgendeiner Weise existent sind. Damit ist offensichtlich der Wissenschaft Genüge getan, wenngleich eine Definition dieser drei Begriffe: Psyche, Geist, Seele weiterhin ungeklärt bleibt.

Über das Wesen der Psyche ist viel gesprochen und geschrieben worden. Lange Zeit war es streitig, inwieweit sie mit wissenschaftlicher Methodik zu erklären und zu ergründen sei. Doch auch bei Verneinung einer wissenschaftlich methodischen Erreichbarkeit steht außer Frage, dass viele Möglichkeiten bestehen, Zugang zu ihr zu gewinnen, semantisch, phänomenologisch, kasuistisch, vergleichend, experimentell. Will man das Wesen der Psyche beschreiben, dann etwa so: Eine ins Bewusstsein reichende, die Stimmungslage beeinflussende Spiegelung der inneren und äußeren Funktionsabläufe. Damit unter-scheidet sie sich vom Wesen des Geistes, der im Wesentlichen, die nach Innen und außen gerichtete Urteilskraft und damit das moralische Grundgerüst im Denken und Handeln zum Ausdruck bringt. Beide Begriffe, die Psyche und der Geist, sind einem lebenden Organismus zuzuordnen, was bedeutet, dass sie mit dem Tod aufhören zu existieren. Ein toter Organismus ist nicht mehr im Stande, stimmungsabhängige Äußerungen von sich zu geben, auch ist er nicht mehr fähig zu urteilen und er ist erhaben über jedwede moralische Zuordnung.
Lediglich die Seele bleibt uns geheimnisvoll verborgen. Gerade deshalb bietet sie sich an für beliebige und willfährige Interpretationen und Projektionen; auch ist ein Zweifel an ihrer Existenz gelegentlich zu beobachten. Das ist nur deshalb möglich, bietet doch die Seele, im Unterschied zu Psyche und zum Geist, keine Möglichkeit, Abhängigkeiten zum lebenden Organismus herzustellen. Die scheinbare Vieldeutigkeit der Seele rührt nicht zuletzt vom unsauberen Sprachgebrauch und von der vermeintlichen Austauschbarkeit der drei Begriffe. Es ist etwa die Rede davon, dass er von einer tiefen Traurigkeit beseelt sei. Wir sprechen von seelischen Krankheiten und meinen doch psychische Auffälligkeiten bzw. neurologische Störungen. In Schönheitsateliers ist mitunter die Rede von: „Haut und Seele“. Gerade der vom Geheimnis umwobene Begriff der Seele ist geeignet, sich in esoterisches Gedanken-gut einzuschleichen. Das Fehlen einer klaren Definition, einhergehend mit verworrenen Vorstellungen verleiten zu beliebigem Gebrauch dieses Begriffes. Es ist jedoch auch zu bedenken, dass sich in der frühen Geschichte der Begriff „Seele“ zum einen auf den griechischen Begriff „psyché“ (Psyche), zum anderen auf den lateinischen Begriff „anima“ (Geist) zurückführen lässt, woraus sich definitorische Un-schärfen ableiten lassen.

Im Althochdeutschen taucht der Begriff „sela“ auf, mit dem Bedeutungsinhalt „die Bewegliche“. Dieses Bewegliche wohnt im Körper, bis es zum Zeitpunkt des Todes diesen verlässt und in irgendeiner Form weiter existiert. Noch ist es in manchen, Glaubensgemeinschaften des Hinduismus Brauch, den Schädel des Toten zu zertrümmern, damit die Seele entweichen kann. So unverständlich dieses Vorgehen für den modernen und aufgeklärten Menschen auch sein mag, lenkt es doch, bei dem Versuch, den Begriff der Seele zu deuten, den Blick auf Bereiche des Metaphysischen und des Religiösen. Schon die Philosophen der Antike, die bei der Beschreibung der Seele die Begriffe „psyché“ und „anima“ verwandten, waren der Überzeugung, dass zum Zeitpunkt des Todes ein Teil des menschlichen Wesens in irgend einer Weise außerhalb des Körpers weiterlebt. Bei Homer etwa lebt dieser Lebensgeist als Schatten der verstorbenen menschlichen Existenz in der Unterwelt des Hades fort. Da der Tote jede Form der Beweglichkeit verloren hat, musste es die Seele sein, die als das Bewegende, das Bewegliche im lebenden Organismus für die Eigenschaften des Lebendigen verantwortlich ist. Die Frage, inwieweit die Seele stofflich oder rein geistiger Natur sei, wurde unterschiedlich beantwortet, je nach dem jeweils individuellen Vorstellungsvermögen bzw. Vorstellungswillen.

So wurde angenommen, dass die Seele dem Wasser zugedacht werden müsse (Hippon), der Luft (Anaximenes), einer besonderen Form des Blutes (Kritias) oder dem Feuer (Demokrit). Auf der anderen Seite verstand Pythagoras die Seele als ein Prinzip der Harmonie. Plato sah in der Seele eine Kraft, die alles zu bewegen vermag; er prägte den Begriff der Weltseele. Er ist es auch, der von der Unsterblichkeit der Seele spricht, von einer Präexistenz und einer Postexistenz in Bezug auf den Tod. Während Plato keine klare Zuordnung zum einzelnen Menschen erkennen lässt und auch eine Seelenwanderung für möglich hält, ist die Seele bei Aristoteles jedem einzelnen menschlichen Individuum zugehörig. (Quelle: Meiner: Wörterbuch der philosophischen Begriffe; 1998). Aus philosophischer Sicht reichen die unterschiedlichen Deutungen der Seele bis in die heutige Zeit. Durch das ganze letzte Jahrtausend ließe sich ein philosophischer Teppich unterschiedlicher Deutungen ausbreiten, wobei bedauerlicherweise die Trennungslinie zu Psyche und Geist immer wieder verschwommen bleibt. So etwa bei Descartes, der zwar vom dualen Prinzip „Leib und Seele“ ausgeht und die Seele in die Zirbeldrüse lokalisiert. Von hier soll sie nach seinen Vorstellungen über das Blut die Lebensgeister beeinflussen. Bei dem Versuch, die Seele zu deuten, bleibt die Philosophie spekulativ; sie bleibt dabei gefangen in der Ausschließlichkeit menschlichen Denkvermögens. Auch und gerade, wenn es um die Frage nach Gott geht, wird der spekulative Charakter des philosophischen Denkens offensichtlich; mit ihrem induktiven und deduktiven, mit ihrem konstruktiven und analytischen Denken bleibt sie der irdischen Wirklichkeit verhaftet. Aus diesem Grund kann ihr der Sprung in eine Glaubensgewissheit nicht gelingen. Die Grenzen des philosophischen Denkens sind damit offengelegt. Somit wird klar, dass die Seele, wenn überhaupt, nur spirituell bzw. religiös gedeutet werden kann. Wenn sich der im Glauben stehende Mensch im „Vater Unser“ an Gott richtet und erklärt: „Dein Wille geschehe“, dann wird Gott zu einer Glaubensgewissheit, die als Wahrheit in die irdische Wirklichkeit hineinreicht. Eine solche, die irdische Wirklichkeit stärkende und leben-spendende Aussage kann von der Philosophie nicht erwartet werden. weil sie sich aus-schließlich im Bereich weltlichen Denkens aufhält und zur Klärung in den Randbereichen menschlicher Existenz nur spekulatives Gedankengut beiträgt. Mit anderen Worten: Der Sprung in die Glaubensgewissheit bleibt der Philosophie versagt. Diese Auffassung wird auch von Schopenhauer geteilt, wenn er sagt: „Keiner, der religiös ist, gelangt zur Philosophie; er braucht sie nicht: keiner, der wirklich philosophiert, ist religiös; er geht ohne Gängelband, gefährlich, aber frei!“ Die Religion also wird ihm zum Gängelband und es wird deutlich, warum er abfällig von ihr spricht. Diese Auffassung wird man weiter denken müssen bis klar wird, welche Freiheit Schopenhauer meint. Ich setze dagegen: Wohlverstandene Freiheit fängt mit der bereitwillig übernommenen Bindung an. (E. Kant: „Freiheit ist, wenn man tun kann, was man tun muss!“). Ich sage: „Es ist der Hafen, der zur Sicherheit der Seefahrt maßgeblich beiträgt!

Philosophie? Es ist eine Frage der Einordnung!“ Der hohe Stellenwert der Philosophie im Bereich menschlichen Denkens und grundsätzlicher Lebensprobleme steht außer Frage. Sie fördert und fordert Konsequenz und Klarheit bei der Auslotung und Handhabung essentieller Lebensfragen und bei der Findung einer grundsätzlichen Werteorientierung. Die Frage allerdings nach dem Sinn des Lebens – und nicht nur nach dem Sinn unseres irdischen Daseins –muss die Philosophie schuldig bleiben.
Die Glaubensgewissheit christlicher Lebensart lebt von der verlässlichen Zusage Gottes an den Menschen, lebt von der Gewissheit, Geschöpf Gottes zu sein. Somit trägt der Mensch die bleibende Signatur Gottes als Seele in sich. In der Taufe wird dieses Bewusstsein zum Ausdruck gebracht. Nach der christlichen Glaubensgewissheit ist jeder Mensch ein Geschöpf Gottes unabhängig von Orientierung und Einstellung. Man kann die Herkunft leugnen, man kann sich ihr aber nicht entziehen. So hat jeder Mensch eine Seele unabhängig davon, ob er sich dieser Bedeutung bewusst ist oder nicht. Eine Möglichkeit, sich dieser Bedeutung zu entziehen, besteht nun darin, jede Frage nach der Bedeutung der Seele in der schwammigen Abgrenzung von Psyche, Geist und Seele untergehen zu lassen. Es ist unzweifelhaft, dass ein Leben im Bewusstsein Gottes Einfluss hat auf den Geist eines Menschen, auf sein Denken, Handeln und Urteilen und zwar so lange, wie ihm Denken, Handeln und Urteilen vergönnt sind, d.h. so lange er lebt. In gleicher Weise beeinflusst der Geist die psychische Reagibilität bzw. die psychischen Befindlichkeiten. Während die geistige Energiequelle (Geist) und die psychischen Reaktionsformen mit dem Tod eines Menschen aufhören zu existieren, bleibt die Seele als eine unveräußerliche Verbindung zwischen Schöpfer und Geschöpf bestehen. Es ist Bestandteil des christlichen Glaubens, dass auch der Verstorbene die Signatur Gottes in sich trägt.