Es quält mich, zu sehen, wie sich Meinungen und Vorurteile, Mutmaßungen und Behaup-tungen, faktisches Wissen und Unwissenheit in verhängnisvoller Weise vermengen und sich gegenseitig befeuern bis schließlich eine Weltsicht entsteht, die nichts anderes vermag, als Böses zu beschreiben und Böses entstehen zu lassen. Man kann Situationen nicht verstehen und ihnen nicht gerecht werden, ohne ihre Entstehung von Anfang an vorurteilsfrei und mit gebührender Selbstkritik zu verfolgen. Das kostet Mühe und Zeit; schnelle Lösungen, die auf Ungeduld und Unwissenheit gegründet sind, sind geeignet, Zerrbilder mit zerstörerischem Potential entstehen zu lassen.

Am Anfang steht der laute, trotzige und kompromisslose Ruf: „Kreuzige ihn!“ Gekreuzigt werden soll Jesus von Nazareth, ein Jude. Die ihn schließlich gekreuzigt haben, waren Römer. Den Römern aber kam es gelegen, diesen selbsternannten König der Juden, diesen Unruhestifter auf diese Weise loszuwerden. Jesus war Jude; in christlicher Auffassung war er Gottes Sohn und damit der eigentliche Vermittler des christlichen Glaubens. Obgleich neben dem Christentum eine eigene jüdische Glaubenslehre existiert, wurde Jesus glaubensmäßig ausschließlich dem Christentum zugeordnet, ungeachtet der Tatsache, dass Jesus nicht nur ethnisch ein Jude war, sondern auch mit seiner Lehre jüdische Glaubensinhalte vermittelte. In der irrigen Vorstellung, dass hauptsächlich Juden für den Tod Jesu verantwortlich gewesen sein sollen, entstand im durch Jahrhunderte nachklingenden „Kreuzige ihn!“ ein tief verwurzelter Hass auf die Juden. Man wird sehen, dass sich dieser Hass über die Jahrhunderte hinweg ins Wahnhafte steigerte. Bedingt durch verschiedene religiöse, gesellschaftliche und wirtschaftliche Einflüsse entwickelte der Judenhass unterschiedliche Formen eines irrationalen Abwehrverhaltens der Christen gegenüber den Juden, weit entfernt von jeder christlichen Gesinnung. Der Absolutheitsanspruch der christlichen Glaubenslehre war dem gegenseitigen Verständnis keineswegs förderlich.

Zu bedenken ist dabei, dass der Glaube im Mittelalter keineswegs eine Angelegenheit persönlicher Überzeugungen war; es sei nur an die Formel „cuius regio, eius religio“ des Augsburger Religionsfriedens erinnert. Glaubensfragen wurden vom hohen Klerus gleichsam institutionell geklärt. Was oben entschieden war, wurde unten gelebt. Allein die hermeneutische Nähe durch das in beiden Religionen gültige Alte Testament, machte aus der Sicht der christlichen Glaubenslehre eine strikte Abgrenzung von jüdischen Gestaltungs-elementen notwendig. Um wirksam zu sein wurde diese Abgrenzung mehr und mehr zu einer tief verankerten und offen demonstrierten Feindseligkeit. Der Jude verkörperte die Andersartigkeit und das Andere ist nicht nur anders, sondern fremd und böse, mit dem Teufel paktierend; er ist dem Christ ein Antichrist! – zwangsläufig, denn die einzig wahre Glaubensüberzeugung beanspruchte man schließlich für sich. Auf dem IV. Laterankonzil von 1215 (Papst Innozenz III.) wurde festgelegt, dass sich Juden in der Öffentlichkeit erkennbar zu kleiden hätten, dass Juden keine öffentlichen Ämter bekleiden und sich am Grün-donnerstag und Karfreitag nicht öffentlich zeigen dürfen. Auf Anordnung von König Ludwig den IX. wurde 1242 die erste Bücherverbrennung in Paris durchgeführt, wobei es in erster Linie um die Verbrennung von Talmudrollen ging, die aus dem ganzen Land zusammengetragen wurden. Schon während der Kreuzzüge (von 1096 an) kam es vor allem in den Städten entlang des Rheins zu judenfeindlichen Ausschreitungen, oft von progromartigem Charakter Es war die Zeit, in der durch die militärischen Unternehmungen im Heiligen Land das religiöse Sendungsbewusstsein besonders ausgeprägt war, verbunden mit dem Bedürfnis, sich hier wie dort gegenüber Un- und Andersgläubigen durchzusetzen und so der reinen und wahren Religion den Weg zu ebnen. Waren anfangs vor allem religiöse Aspekte verantwortlich für die Feindseligkeiten gegenüber den Juden, ging es im weiteren immer mehr darum, sich vom befremdlich anmutenden und makelbelasteten Juden zu distanzieren. Manche Städte begannen, Juden auszuweisen, andere verlangten, dass sich Juden in der Öffentlichkeit durch das Tragen eines auf die Kleidung aufgenähten gelben Kreises zu erkennen geben. Aus dem Berufsleben wurden die Juden zunehmend ausgegrenzt; die Zünfte untersagten ihnen, handwerklich tätig zu sein. So wurden die Juden in die Grenzbereiche des gesellschaftlichen Lebens abgedrängt. Unangetastet blieb lange Zeit noch der Beruf des Arztes, dauerhaft unberührt hingegen der Umgang und der Handel mit Geld und Vermögen. Diese Tätigkeit war dem niedrigen Klerus stets ein Dorn im Auge. Anders die Obrigkeit, die diese Geldgeschäfte durchaus zu schätzen wussten, immerhin sah man in den Juden zuverlässige und kompetente Darlehensgeber und damit waren sie Garanten für stets verfügbare Geldreserven. In Zeiten der Judenverfolgungen war es dann ein Leichtes, sich der Gläubiger zu entledigen.

Das Gift dieser niedrigen und verachtenswerten Denkart dringt unmerklich ein in die tieferen Schichten des menschlichen Selbstverständnisses und bedroht, Generationen überdauernd, die Reinheit des Geistes und die Widerstandsfähigkeit moralischer Unbeschadetheit. Das Gift wacht ungeduldig in der Tiefe und wartet auf die Gelegenheit, ans Tageslicht zu kommen. Am Rande einer württembergischen Kleinstadt fand man in einer Zeit heftiger Judenanfeind-ungen eine Leiche – eine junge Frau – tot -zerstückelt. Es wird der Mörder gesucht; trotz vieler Verdächtigungen findet man ihn nicht. Also „macht“ man ihn; es kann nur ein Jude sein! Und schon hat man ihn: endlose Verhöre, schließlich grausame Folterungen, bis er gesteht. Der „Mörder“ wird hingerichtet; und immer wieder erfährt der Judenhass sichtbare Bestätigung. Weitere Leichenfunde folgen; es wird wie gewohnt verfahren. Inzwischen hat sich der Begriff des Ritualmords eingebürgert und so erfährt das konsequente Vorgehen gegen die „Mörder“ eine generelle Rechtfertigung.

Im IV. Laterankonzil findet die Lehre von der Transsubstantiation seine abschließende Bestätigung (allerdings noch keine dogmatische Festlegung). Die Hostie verwandelt sich im Sakrament der Eucharistie in den Leib Christi. Schnell machten Gerüchte die Runde, nach denen Juden die Hosten (weil Leib Christi) schänden würden, sie würden sie durchbohren, so lange auf sie einschlagen, bis sie zu bluten beginnen, sie würden sie in die Toiletten werfen, u.a. Die Mär vom Hostienfrevel war geeignet eine ganz andere Art von Transsubstantiation Wirklichkeit werden zu lassen, nämlich die konkrete Wandlung des Hasses in die Brutalität verletzender Gewalt.

So, wie man lernte, „Mörder“ zu machen, so gelang es leicht, Verdächtige der Schuld zu überführen und Juden standen dabei generell unter Verdacht (Das Gift schlummert…). Das bewahrheitete sich in der Zeit der sich in Europa ausbreitenden Pest. Die ungeheure Anzahl von Toten steigerte die bei den Juden vermutete Schuld ins Unermessliche. Sie waren die Verursacher, die Brunnenvergifter, sie haben unseren Heiland gekreuzigt! Überall in Deutschland, vor allem aber in den Städten entlang des Rheins wurden Tausende von Juden umgebracht; Historiker sprechen von den schlimmsten Progromen in der Zeit zwischen 1348 und 1350 vor dem Tiefpunkt menschlicher Abgründigkeit, dem Grauen der Schoa in der Nazi-Zeit.

Noch in der Zeit von Maria Theresia (ca. 1760) waren die Juden rechtlos und mussten einen gelben Judenstern tragen. Erst Kaiser Joseph II. sorgte für eine Eingliederung der Juden in die normale Gesellschaft. Nun leben wir heute in einer Zeit, in der sich die Gesellschafft mehr und mehr aus den Gefilden des christlichen Glaubens zurückzieht, mutatis mutandis rückt der religiöse Grund für die Judenfeindlichkeit mehr und mehr in den Hintergrund. Es bleibt aber das Gift, doch dem Gift sind die Gründe gleichgültig, entscheidend ist seine Wirkung und die Wirkung vollzieht sich am Objekt, am Juden (Das Herz entscheidet, der Kopf liefert die Argumente).

Das Gift schlummert und wir erleben es heute auf’s Neue. Weil dieses Gift über eine unbändige Macht verfügt: Wehret den Anfängen! Aus den Erfahrungen der letzten Jahrhunderte müssen wir lernen: Wir alle sind Menschen! Wir müssen es schaffen, zusammen zu leben, in Toleranz, in gegenseitigem Respekt und in Solidarität. Halten wir dem Gift Stand!

Und nun?

Deutschland steht in der Schuld, allerdings weiß es noch nicht genau, damit umzugehen. Darf man den Finger erheben, wenn irgendwo in der Welt Unrecht geschieht oder muss man gar versuchen, Warnzeichen zu geben, aufmerksam machen und reden – gerade aus dieser gemachten Erfahrung heraus? Die Situation, in der das nötig ist, ist nicht morgen, sie ist heute! Natürlich scheint für den moralischen Zeigefinger jede Legitimation verloren gegangen zu sein, doch wie ist das einseitige Schweigen angesichts des sich wiederholenden Unrechts zu bewerten? Wieder ein Schweigen, wieder ein Nicht-Bekennen, wieder ein Wegschauen?

Der heute lebende deutsche Bürger braucht sich nicht schuldig zu fühlen für das, was geschehen ist. Obgleich er nicht in der Schuld steht, wird entscheidend sein, wie er sich zur Schuld positioniert – jeder Einzelne und immer wieder auf’s Neue. Das Denken pflegt mitunter einen sehr eigenwilligen Umgang mit dem Gift. Wir Heutigen haben hinreichend Kenntnisse darüber, was geschehen ist und wir wissen, wozu der Mensch fähig ist. Auch mit der Wirkungsweise des Giftes konnten wir Erfahrungen sammeln. Wir haben Menschen gesehen, die es fertig brachten, die Realität zu leugnen; wir haben Menschen erlebt, die mit Verschwörungstheorien versuchen, die Welt ins Unglück zu stürzen; wir haben erfahren, was Einbildung vermag, was Vorstellungen zu Wege bringen, wir haben erlebt, dass menschliches Einbildungsvermögen jede Rationalität, jede Wissenschaft und jede Vernunft zu korrumpieren, ja gleichsam außer Kraft zu setzen vermag. „Der Geist ist willig, das Fleisch aber schwach“, das haben wir verinnerlicht und noch scheinen wir zurecht, von einer Orientierung gebenden Kraft des Geistes auszugehen. Mehr und mehr müssen wir jedoch erfahren, dass der Geist beginnt, zu spekulieren und sich selbst in die Irre zu führen.

In ihrer Sitzung am 29. November 1947 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Teilung Palästinas in einen arabischen und einen jüdischen Staat. Jerusalem erhielt den Sonderstatus eines „Corpus separatum“ und wurde unter UN-Verwaltung gestellt. Am 14. Mai 1948 zogen sich die letzten britischen Streitkräfte aus dem ehemals britischen Mandatsgebiet zurück. Die weitere Entwicklung des Staates Israels stand unter der brüsken Verneinung seines Existenzrechtes, anfangs vonseiten aller arabischen Staaten, heute im Wesentlichen von Iran und seinen Verbündeten. Dies muss man der israelischen Politik immer zugutehalten. Dennoch, von Anfang an stand die Zwei-Staaten-Idee als Lösung für das zukünftige Zusammenleben zweier so unterschiedlicher Volksgemeinschaften im Raum. Israel hat bislang dieser Vorgabe nicht entsprochen, es hat vielmehr alles getan, diese Idee konsequent zu hintertreiben. Dazu einige Anmerkungen aus unlängst vergangener Zeit:

Aus den eigenen politischen Betrachtungen vom: 08. August 1992:

„Die ursprüngliche Idee von den zwei nebeneinander existierenden Staaten scheint hinfällig, die lange Zeit richtungsweisende „Road Map“ mit dem Ziel, diese Idee zu realisieren, ist durch die eigenwillige Politik Israels zunichte gemacht.“

Aus den eigenen politischen Betrachtungen vom: 07. Dezember 1993:

„Ein deutlicher Fortschritt in der Beziehung zur PLO wurde in der „Prinzipienerklärung über die vorübergehende Selbstverwaltung“ (Oslo I) von 1993 erreicht, die Verwaltung des Gazastreifens und des Westjordanlandes wurde auf die Palästinenser übertragen und beiden Gebieten Autonomie zuerkannt. Der Status von Jerusalem sollte in weiteren Verhandlungen geregelt werden. Die PLO wurde als offizieller Vertreter der Palästinenser anerkannt.
Die PLO sagte zu, sämtliche Passagen, in denen sie die Existenz des Staates Israels in Frage stellen und seine Vernichtung anstreben, aus ihrer Charta zu streichen. Allerdings wurde dieser Vertrag von der PLO nie ratifiziert.“

Den Haag 09.Juli 2004

Der internationale Gerichtshof in Den Haag hat die israelische Grenzmauer auf palästi-nensischem Boden für völkerrechtswidrig erklärt.

Aus den eigenen politischen Betrachtungen vom: 03. August 2007

„Das Spektrum der entwürdigenden und lebensfeindlichen Verhaltensweisen ist breit gefächert, es umfasst Ausgrenzung, Demütigung, Erniedrigung, Beleidigung, Missachtung, Gängelung, Freiheitsberaubung und die Verweigerung grundlegender Menschenrechte. Der entmutigte, gedemütigte und in die Enge getriebene Mensch versucht sich zu befreien und gegen alle Widerstände der Entmündigung sein Lebensrecht wieder zu gewinnen. Doch allein schon der Gedanke, der versucht, sich der Freiheit und seiner Würde anzunähern, wird zunichte und zerbricht an der Wirklichkeit der auferlegt quälenden Enge.

Aus dem anfänglichen Groll entsteht Wut; die Wut verdichtet sich zum Hass und, mit blinder und ungezügelter Gewalt, verschafft sich der Hass die Luft, die zum Leben notwendig ist. Der Mensch will leben und seine Selbstachtung wiedergewinnen, doch jeder Versuch wird harsch und gewaltsam unterdrückt. So entsteht neben dem Hass das furchtbar verletzende Gefühl der Ohnmacht. Hass und Ohnmacht sind die Quelle jener Aggressionen, die der Unterdrückte und Gedemütigte als Befreiungsversuch versteht, die aber von dem, der seinen Willen und seine Ordnung ungeachtet des Lebensrechtes des Anderen durchzusetzen versucht, als Terror gedeutet werden.“

Aus den eigenen politischen Betrachtungen vom 13. Mai 2021

„Wer ist fähig und bereit, den ersten Schritt zu tun; wer ist willens, das Wagnis der Hand-reichung einzugehen? Dazu ist keine militärische Stärke erforderlich, sondern allein der Wille zum Frieden. Das Wagnis besteht darin, dass dieser gewiss nicht einfache Weg von Demütigungen und Verletzungen begleitet wird. Er wird auf Widerstand stoßen und von einigen ewig Gestrigen nicht verstanden werden. Doch Friede und Freiheit haben langfristig eine größere Überzeugungskraft. Es muss darum gehen, den Palästinensern die Möglichkeit zu geben, mit dem Frieden und der Freiheit und nicht weniger mit der Unabhängigkeit und Selbstbestimmung eigene Erfahrungen zu machen. Erst dann wird es gelingen, dem Hass und den aggressiven Elementen den Boden zu entziehen und den Kräften des Friedens Raum zu geben.

Von Unterdrückten und Gedemütigten ist dieser erste Schritt nicht zu erwarten, solange sie unter dem Diktat der absoluten Kontrolle stehen. Dem Starken fällt diese Rolle des Friedensstifter zu; nur er kann den ersten Schritt tun, die Handreichung, die überzeugende Geste des Gewaltverzichts. Es sind immer wieder Gesten, die das Bewusstsein der Welt verändern! Macht und Stärke führen stets zur Ohnmacht und Demütigung und zum Fortbestehen von Aggression und Terror“

Am 7. Oktober 2023

Angriff der Hamas auf israelische Siedlungen und Kleinstädte nahe der Grenze zum Gaza-streifen. Über 1000 Menschen wurde ermordet, Frauen vergewaltigt und getötet, Klein-kinder enthauptet; es war ein Massaker, eine Apokalypse des Grauens.

Am 15. Januar 2024

Völkermordklage gegen Israel in Den Haag durch Südafrika

Am 19. Januar 2024

In einem Telefonat mit dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden lehnt Netanjahu die Zwei-Staaten-Lösung grundsätzlich ab.

Vor diesem Hintergrund entsteht die Frage, der man sich vorbehaltlos und selbstkritisch stellen muss: Ist die Politik Israels eine Folge des israelfeindlichen Verhaltens der Palästinenser und einiger arabischer Staaten, oder ist das Verhalten der Palästinenser eine Folge der israelischen Politik? Ohne sich dieser Frage gestellt zu haben, wird man die Vergangenheit nicht emotionsfrei interpretieren und die Zukunft nicht nachhaltig und friedenstiftend beantworten können. Der Versuch aber, diese Frage zu umgehen oder ihre öffentliche Erörterung zu unterbinden, kann nur dazu führen, das schlummernde Gift zu mobilisieren, welches sich dem Schweigegebot entgegen schließlich Luft zu verschafft.

Vielleicht aber muss man erkennen, dass sich die Probleme der Vergangenheit so verhärtet und sich die Beteiligten in ihren Ansprüchen so weit von einander entfernt haben, dass die Voraussetzungen für eine friedliche Koexistenz in geordneten Verhält-nissen aus eigenen Kräften nicht geschaffen werden können. Dies allerdings spräche für ein politisches Versagen der jeweils befreundeten Partnerstaaten in den vergangenen Jahrzehnten. Das müssen die Lehren aus der Vergangenheit sein: Sollen zwei so unterschiedliche Volksgemeinschaften in dauerhaftem Frieden miteinander leben können, dann geht es nicht anders als in gegen-seitiger Achtung, mit gegenseitigen Respekt, in gegenseitigem Vertrauen! In einer bejahenden und gesicherten Koexistenz!

Unter dem Titel „Genesis und Geltung“ schrieb Dan Diner (Jerusalem) am 23. Januar 2024 in der Frankfurter Allgemeinen: Er zitiert darin aus der Totenrede, die Mosche Dajan als Chef des Generalstabs am Grab von Roy Rothberg, dem Sicherheitsbeauftragten von Nahal Oz, einem in nächster Nähe zum Gazastreifen gelegenen Kibbuz am 19. April 1956 gehaltenhat. Rothberg war einer Bluttat von jenseits der Grenze eingedrungenen arabischen Attentätern erlegen. In seinem Nekrolog äußert Dajan tiefes Verständnis für den über die Grenze quellenden Hass der dort darbenden Palästinaflüchtlinge. Man möge, so Dajan mitfühlend, die Mörder nicht verdammen. Sie seien verurteilt, mitanzusehen, wie wir das Land, das doch das ihrige war, unter den Pflug nehmen, um es uns anzueignen. Abschließend aber richtet er sich an die Bevölkerung von Israel und ermahnt sie, angesichts der Unversöhnlichkeit der Araber nicht an militanter Achtsamkeit nachzulassen. Schließlich können wir kein Haus bauen und keinen Baumpflanzen, ohne bewehrt auf der Wacht zu sein.

Die heutige Politik unter Benjamin Netanjahu lässt keineswegs eine solche Differenzierungen erkennen. Seine Politik ist grob, unempfindsam, uneinsichtig, kämpferisch, kompromisslos, korrupt, und friedensverweigernd. Er will die Hamas endgültig vernichten, damit nie mehr vom Gazastreifen Gefahr ausgehe. Ist es möglich, so entfesselte, zerstörerische und blind-wütende Emotionen wie den Hass militärisch zu besiegen?! Hass sucht immer bedingungslos sein Opfer und das Opfer ist es, das den Hass nährt und schürt. Dem Menschen ist es möglich, den Kreislauf zu durchbrechen, indem er sich auf sein Mensch-Sein besinnt.

Netanjahu ist von seinem Tun überzeugt; er spricht von einem gerechten Krieg. Diesen aber gibt es nicht, ebenso wenig wie es eine gerechte Todesstrafe gibt. So gesehen gibt es keine objektive Rechtfertigung für einen Krieg, zumal es keine objektive Instanz gibt, vor der eine Rechtfertigung möglich wäre. Die grundsätzliche Frage ist doch die: Will man in Frieden zusammenleben oder dem anderen in allen Belangen seinen Willen aufzwingen? Will man Sieg oder Frieden? Dabei fällt mir eine Formulierung von Erich Kästner ein: „Ein Gramm Frieden ist besser als 1oo Tonnen Sieg. Jeder Mensch hat nur die Spanne seines irdischen Daseins zur Verfügung, um an dem Schöpfungswerk „Leben“ mitzuwirken und für die Erde und das Leben (Tier, Mensch) Verantwortung zu übernehmen. Dabei stellen sich die Fragen: Wer bin ich? Was will ich? Werde ich der Erde gerecht, den Tieren und den Menschen, bzw. dem Leben schlechthin? Wem soll die Antwort gelten, die ich mit meinem Dasein gebe? Sieg (Krieg) oder Frieden? Allein ich will oder zusammen – leben?