Gedichte

Stille, du bleibende Sprache (Bilder und Gedichte)
Kunstverlag J. Bühn, München 1997

ISBN: 3-932831-00-4

Gedichte und Aphorismen

Kadenverlag, Heidelberg 2o16

ISBN: 978-3-942825-43-6

Menschen

Ich traf viele Menschen
Und ich versuche,
mich an sie zu erinnern.

Ich traf Menschen,
die glücklich schienen;
doch mir fiel auf,
dass sie verletzbar waren.

Ich traf Menschen,
Die sagten, dass sie reich seien;
doch mit fiel auf,
dass sie unerfüllt waren.

Ich traf Menschen,
die stets auf der Suche waren;
doch mir fiel auf,
dass sie nur sich selbst suchten.

Ich traf Menschen, die einsam waren;
Doch ich erkannte,
dass sie verloren waren
in der Liebe zu sich selbst.

Ich traf Menschen,
die sich großes Wissen angeeignet hatten;
sie fanden aber nicht die Ruhe,
den Flug der Vögel zu verfolgen.

Ich traf Menschen,
die sich wichtig wähnten;
mir fiel auf, dass sie das Allein-Sein
nicht ertragen konnten.

Ich traf Menschen,
die von sich sagten,
dass sie das Leben lieben;
dabei erkannte ich,
dass sie den Tod fürchten.

Ich traf Menschen,
die von sich sagten,
dass sie frei wären;
doch ich erkannte,
dass Viele von ihnen
den Götzen hörig waren.

Ich traf Menschen,
die von Liebe sprachen;
mir fiel auf, dass sie immer nur
auf ihren Vorteil bedacht waren.

Ich traf aber auch Menschen,
die sprachen nicht über das, was sie taten:
und mir fiel auf,
dass sie sich dessen sicher waren.

Ich traf Menschen,
die neben dem Wissen
auch das Verstehen gelernt hatten;
und ich erkannte,
dass sie dem Leben sehr nahe waren.

Und schließlich traf ich Menschen,
die erfüllt waren beim Anblick des Himmels.
Ich sah, dass es die Menschen waren,
die fähig waren zu lieben.

Irgendwann traf ich auf einen Menschen,
von dem ich wusste,
dass er mir einen Himmel bedeutet.
Ich erkannte,
dass die Liebe zu einem Menschen
das Kostbarste ist,
dass die Liebe etwas entstehen lässt,
was ohne sie nur Täuschung bleibt.

Ich traf viele Menschen
Und ich denke mir,
dass der Himmel
ein Himmel für alle sein könnte,
ich denke mir,
dass viele Menschen
vergessen haben,
auf den Himmel zu achten.

Lebe!

Das Leben gilt
dir!

Das Leben strebt
in die Vielfalt
seiner Gewichte –
ein jedes
nach seinem Gesetz!

Jedem ist seine
Bestimmung,
jedem seine Erfüllung –
die Vielfalt lebt
von der Buntheit
der Teile!

Größer ist die Vielfalt
als die Stumpfheit
der Summe.
Der Verzicht
des Einzelnen
auf seine Bestimmung
macht ihn schwerelos
in der Masse.

Jede Masse
hat ihr Gewicht
nach unten!
Und der Taumel
des Stromes
treibt alles Leben
in die Abgründe
tiefer, lebloser
Nächte.

Gegen die Masse
steht das Gewicht,
gegen den Strom
das Wollen
des Einzelnen –
wer leben will,
muss tragen!
Jedes Leben
hat sein Gewicht!

Jedes Leben
hat seine Möglichkeiten
in der Vielfalt!

Es gilt,
zu leben!

Der Weg des Wassers

ist erst flüchtig,
ganz unstet gleitet es
mal hier mal dort,
mal über Sand, mal über Stein;
es ist nach der Bewegung süchtig
und kein Gedanke holt es ein.

Unmerklich und ganz wie von selbst
Gräbt es sich langsam ein.
Es findet seine Spur
mit weiten Bögen, kleinen Stufen;
mal quirlt, mal springt es außer sich,
mal zögert es, als hörte es ein Rufen.

Die Bahn ist ihm nun vorgegeben,
eingebettet in den Grund;
es fließt dahin
und gräbt sich tiefer ein;
es ist sein einziges Bestreben,
strömend zu formen das Gestein.

Im Letzten dann fließt es dahin,
genährt von vielen Seiten;
es gleitet wie ein breites Band
entlang an den Gestaden.
Ganz ruhig und bestimmt
Wird es zum Meer getragen.

Das Karussell

Ein Traum –
Wie aller Wirklichkeit entrückt,
und selbst die Fülle
aller Wirklichkeiten!
So dreht sich bunt
und tief versonnen
das alte, runde.

Die Hände
Fest an den Figuren,
die starr sind
und doch
voll Bewegung,
dem Kreise folgend
und dem Auf und Ab.

Die Augen
Voll von Ernst,
der eignen Welt
ganz hingegeben –
nur dann und wann
der Blick nach draußen,
nur flüchtig –
wie aus einer fernen Welt.

Und immer wieder
dreht sich
alle Wirklichkeit
wie auf das
kleine Rund gebannt –
ein Traum, ein Lächeln,
eine Seligkeit!

In dieser runden
Endlichkeit,
bewegt von vielen
leichten, ernsten Dingen,
dreht sich das Ganze
wie verloren –
ein jedes Mal wie eine Welt.

Kindheit

Und immer ist sie dein…
ein Fernes nur
und ein Erinnern
an eine Welt,
in der die Tage alles sind
und lange dauern.

Das Wollen
hängt an vielen kleinen Dingen;
wir sehen sie
mit offnen Augen
ganz ruhig – rund
vor lauter Staunen.
Der Augenblick ist
wie verschwendet
an etwas,
was nie aufhört
oder immer ist.

Uns alles,
was sich dreht und wendet
und immer wieder ist
wie neu,
fällt auf den Boden,
der empfänglich
für alles Kleine
Bunte,
Große,
Schwere.

Es füllen sich die Tage
wie von innen
und alles wächst
und alles sammelt sich
in einen Anfang;
wie eine Ouvertüre –
und immer ist sie dein,
dein Anfang,
deine Mitte,
ein Teil von deinem Sein.

Vollmond

Ich seh’ dich rund,
im Blühen voll entfaltet
und ich verspüre das,
was Leben manchmal ist:
ein Glück, ein wundersamer Augenblick,
unendlich groß
und sanft gestaltet.

Dann, plötzlich Wolken,
die sich frech und ungemach
ins Lampenrund des Himmels schieben.
Erst sind es Schatten nur
und ein Vorüberzieh’n,
bis unversehens Dunkelfelder
das klare Licht
der Andacht trüben.

So schiebt ein Augenblick
sich vor den andern;
ein jeder löscht – im Zeitvergeh’n
den andern aus.
Nichts bleibt von dem,
was blüht, was welkt und fällt.
Doch, was uns groß macht,
ist die Andacht
und das Aufersteh’n.

Karriere

Hell sind die Tage,
doch ohne Licht;
frei ist der Himmel,
doch ohne Wärme;
weit ist die Sicht,
doch ohne ein Erkennen!

Helligkeit
verführt zum Glanz,
jedes Streben
stöß auf leere Spiegel.
Der Morgen
Ist nur noch Beginn,
der Abend nur noch
Mahnung an den neuen Tag!
Abend und Morgen
nur Markierung
Des Tuns.

In der Fülle
gleicher Tage
entschwindet dann der Blick
für alles Sein –
die weiten Kreise,
die dem Leben galten,
verengen sich
zu einer Dürre
leerer Formen,
Das Sehen hat
das Licht verloren;
das Leben wird
zum reinen Tun –
wie eine Pflanze,
stetig wachsend,
doch immer
ohne Blüte.

Schmerzfrei

…und hinter Masken
verbergen sich die Töter
der Stille.
Sie kleben an den Spiegeln
und sie erheitern sich
an ihrem verfälschten Abbild.
Sie tönen
und sie gebärden sich heftig,
während der Boden unsicher wird
im Taumel ihrer Bewegungen.
Doch wir betäuben uns;
wir lassen es zu, selbst ein Töter zu sein
und wir greifen nach der Maske,
die den Schmerz
in die Schwerelosigkeit verflüchtigt
für die kurze Zeit des Tanzes!

Der Augenblick

Die Welt ist voll
von wundersamen Dingen;
der eine sucht sie,
der andere will sie haben.

Doch in dem engen Zirkuszelt
ergötzen sie sich, wie bestellt
am Tanz der Küchenschaben.

Oh nein, das Laute ist dem Wunder fremd;
So manche Wahrheit ist in alten Sagen:
Nicht jeder, der Gewichte stemmt,
kann auch den Himmel tragen.

Oft ist es nur ein Augenblick,
der groß im Raume steht;
es ist ein unverhofftes Glück,
wenn leise, sanft und wie getragen
ein Engel durch die Türe geht.

Tempel

Ihr Tempel,
die Ihr sprachlos geworden,
heimatlos und fremd –
wie eingetaucht in eine Zeit,
die nicht die Eurige ist.

Immer versucht Ihr
Himmel zu sein
und immer wieder zerbricht Eure Absicht
an der Verletzbarkeit
des Dauernden.

So steht Ihr da
und Ihr seid Bild!
Doch in Bildern
– Ihr Tempel –
werdet Ihr käuflich.

Und Euer Bild
verliert sich im Rufen
des Trödlers: ein Bild, eines von vielen!

Nichts hält der Erde stand –
auch nicht der Versuch,
Himmel zu sein!

Doch immer, Ihr Tempel
werdet Ihr fragen: ob Ihr Himmel seid
oder Bild.

Der Widerhaken

Ich hör’ so manchen
kleinen Widerhaken
in deinem Wort,
doch ich erkenne dann,
dass ich nur falsch gedacht,
dass mancher kleine Haken
den Kopf mir frei gemacht.

Man sagt so manchen Orts,
dass Liebe blind macht
und gefügig;
doch fragst du mich,
ich sag’s dir zügig:
es ist der Haken,
welcher bindet,
wo sonst das Glatte
leicht entschwindet!

So stellt sich der Gedanke ein,
könnt’ ich doch dir,
du Allerliebste,
ein kleiner Widerhaken sein.

Ein Fischer

Ein Fischer, froh und wohlgemut,
tat das, was jeder Fischer tut:
Er stieg ins Boot im Abendlicht,
die Angel, die vergaß er nicht.

Erwartungsfroh fuhr er aufs Meer;
Die Dunkelheit zog hinterher.
Ganz leise pfiff er vor sich hin:
Wie schön, dass ich alleine bin!

Er legt die Dinge sich zurecht,
ein kleiner Schluck – hm – gar nicht schlecht!
Die Leine holt er aus der Tasche
Und, noch ein Schlückchen aus der Flasche!

Der Mond geht auf und lacht ihm zu,
er hebt die Flasche, trinkt auf „Du“;
wie könnt das Leben schöner sein!
So schlief beim Wein der Vorsatz ein.

Der Kopf war schwer, der Eimer leer!
Die Fische dankten ihm das sehr!

"Musstest du Stein werden ..." Gedichte
Kadenverlag, Heidelberg 2o2o

ISBN: 978-3-942825-82-5

Ach hätte ich doch...

Die Welt im Blick,
doch ganz verträumt,
zog ich durch Straßen
und durch Gassen –
sie waren menschenleer;
tief versunken in Gedanken
entstanden Bilder,
märchenhaft und schön
und immer größer, bunter, schöner
wurden sie im Weitergeh’n.
Sie spielten mit der Dämmerung,
die schleichend sich
in all die Bilder mischte
und Bild und Traum
ergänzten sich, ganz unbeschwert
zu einem lichterfüllten Innenraum.
Doch dann, von Ferne sah ich sie,
die kleine, unscheinbare Gestalt;
erst wie ein Schatten nur
im Spiel von zarten, grauen Tönen.
Sie schien zu schweben,
als wäre sie ein Teil von jenen Bildern,
die mir zum Traum geworden sind.
Mit jedem Schritt kam ich ihr näher;
Im fahlen Licht
der nebelhaften Dämmerung
begann die größer werdende Gestalt
sich mehr und mehr zu formen:
Ein schlanker Rücken
und ein wehendes Gewand,
anmutig anschmiegend
an Körper und Gestalt.
Das lange, blonde Haar
ganz zart und liebevoll
auf einer Schulter abgelegt;
nur manchmal greift ein Windhauch
ganz zärtlich und, liebkosend
in die weiche, engelsgleiche Pracht,
er hebt das Haar und gibt es wieder frei.
Welch ein Duft und welch ein Liebreiz
umschwebt – in heiterer Bewegung –
ihr Wesen, in vollendeter Gestalt!
Schon fühl’ ich mich beflügelt
und meine Schritte eilen,
um ihr ganz nah zu sein!
Mein Herz beginnt zu tanzen
und es kreisen Bild und Traum!
Ich geh’ noch schneller…
und geh’ an ihr vorbei;
doch dann…
ach, hätte ich sie
doch nie
von vorne gesehen!

Der Blick

Halte deinen Blick
behutsam nah
an deinem Herzen;
er läuft Gefahr,
sich in den Dingen
zu verlieren.
Schau’ sie dir an,
die vielen
wundersamen Dinge,
die großen, bunten,
reizend schönen;
sie gaukeln, tanzen,
schmeicheln und
umwerben dich,
doch alle frönen nur
dem Augenblick!
Blick’ hinüber in die Weite!
Blick’ dort hin,
wo der Himmel
der Erde ganz nah ist!

 

Die Freiheit

Wie eine Feder…
leicht und schwebend,
so fühlt sich das an,
was wir Freiheit nennen.
Zurecht, denn eben noch
war Last und Pein,
leidverwoben,
lichtvergessen,
eingetrübtes Sein

Die Feder fliegt
und mit ihr die Gedanken;
alle Türen steh’n ihr offen
und keine Mauer engt sie ein.
Das Ferne
ist nicht fern genug,
das Große
nicht zu groß,
sie schwebt und fliegt.

Doch allein das Schweben
ergibt noch keinen Sinn.
Im Schweben
gilt es,
andere zu tragen,
andere zu halten.
Nur so gewinnt die Freiheit
einen Sinn:
im mutigen Gestalten.

Engel, du...

Musstest du Stein werden,
um das Leben zu schau`n?
Weit wissender als das
zärtlich spielende Licht
um Platanen und Zypressen
ist dein nach innen gerichteter Blick
und niemandem schuldest du
dein Lächeln, als wäre es ewig!

Engel?

Frag’ mich nicht, was Engel sind,
und wo du ihres gleichen findest!
Ergötzen wir uns nicht
an selbst erschaffnen
Gottesbildern,
am Schein von anmutigen Gebilden!
Wir suchen die Wärme
in einer erkaltenden Welt,
wir sehnen uns nach Halt
im getriebenen Dasein
und so flüchten wir
in die Vorstellung von
Heil bringenden Himmelsboten.
Schau in dich
und lebe die Welt!
Gib in deinem Innern
dem ersehnten Engel
Bild und Gestalt

Sonnenaufgang

Wie ein Herrscher,
der den Seinen befiehlt,
sich aus dem Schlafe zu erheben
und die Kräfte zu sammeln
für das große Tagwerk,
so steigst du auf
über dem fahlgrauen Band
der noch ruhenden Berge.
Du ergreifst die Zügel,
die sich während der Nacht
in feucht schwebendem Grau
auf dem noch schlafenden Erdreich
zur Ruhe gelegt hatten.
Mit deinem aufscheinenden Licht
durchdringst du das Leben
bis in die letzten Winkel
der sich zurückziehenden Nacht
und zwingst die noch Schlafenden,
in unerbittlich strengem Geheiß,
dir hörig zu sein.
Es sind nur kurze Augenblicke,
in der deine flammende Röte
die letzte Müdigkeit
aus den ermatteten Gliedern treibt,
aufmunternd und wärmend;
bis dann,
in den Rundungen deiner Kraft
das Leben erstarkt und willens ist
und jede Geste, jede Regung dir sagt:
ich bin bereit!

 

Tempel

Ihr Tempel,
die Ihr sprachlos geworden,
heimatlos und fremd –
wie eingetaucht in eine Zeit,
die nicht die Eurige ist.

Immer versucht Ihr
Himmel zu sein
und immer wieder zerbricht Eure Absicht
an der Verletzbarkeit
des Dauernden.

So steht Ihr da
und Ihr seid Bild!
Doch in Bildern
– Ihr Tempel –
werdet Ihr käuflich.

Und Euer Bild
verliert sich im Rufen
des Trödlers: ein Bild, eines von vielen!

Nichts hält der Erde stand –
auch nicht der Versuch,
Himmel zu sein!

Doch immer, Ihr Tempel
werdet Ihr fragen: ob Ihr Himmel seid
oder Bild.

Wozu?

Wir steh’n gemeinsam vor der Blüte
und immer wieder fragst du mich:
„Wozu?“
Nur kurze Zeit ist ihr vergönnt,
ihr üppig, zartes Lichtgewand
im Rausch der Fülle
zu entfalten.
Oft sind es Tage nur,
vielleicht nur Stunden
oder Augenblicke,
in denen Überschwang und Lust
im Wettstreit liegen
mit der Zeit und
mit dem bangen Blick hinüber
ins Vergessen.
Wozu die Pracht?
Wozu die Mühe,
die im Entstehen schon
das Sterben lautlos in sich trägt?
Freund, frag’ nicht mich,
frage die Blüte!
In ihrem Schweigen sagt sie dir:
Blühe! Frage nicht!
Sei selber einmal Blüte!
Für kurze Tage nur, für Stunden,
und sei es nur –
für einen Augenblick!