Die Welt fiebert. Eine große Anzahl existenzieller Probleme ist allgemein erkennbar, doch werden sie nicht von allen in der ganzen Tragweite wahrgenommen. Zu verbreitet sind Gleichgültigkeit und ein blindes Vertrauen in die vermeintliche eigene Unberührbarkeit. Da ist die Pandemie mit weltweit steigenden Infektionszahlen (Delta-Variante). Da ist eine Hungersnot (Äthiopien, Jemen, Zentralafrika), die kaum wahrgenommen wird, da sind anhaltende kriegerische Auseinandersetzungen (Ukraine, Jemen, Syrien Afghanistan, Äthio-pien) da ist ein zunehmender Machtmissbrauch von totalitären Staaten (Russland, Belarus, Türkei, China), da sind Naturkatastrophen die die ganze Welt überziehen und unzählige Opfer hinterlassen (Überschwemmungen, Waldbrände, Hitze, Dürre), da ist eine wachsende Gefährdung durch den zunehmenden Verlust der stillen Übereinkunft eines selbst erklärenden demokratischen Bewusstseins mit wachsendem Rechtsextremismus und Antisemitismus einhergehend mit einer immanenten Staatsgefährdung (Attentate Querdenker, Verschwörungstheoretiker), da ist eine sich aufschaukelnde Weltmachtkonkurrenz zwischen China und den USA. In dieser fiebernden Zeit scheint Deutschland kein größeres Problem zu haben als die Suche nach einer Gender-gerechten Sprache. Zurecht sprechen wir von einem Gender- bzw. Identitätsproblem, denn in der Wahrnehmung der eigenen Identität scheinen sich manche unsicher zu sein.

Wenn Simone de Beauvoir schreibt, es gäbe keine biologische, psychische oder ökonomische Bestimmung, welche die Gestalt festlegen würde, die der weibliche Mensch in der Gesellschaft annimmt; man würde also nicht als Frau geboren, dann mag das der Freiheit einer Schriftstellerin geschuldet sein, solche ideologisch gefärbten Falschaussagen zu verbreiten und sich über unbestreitbare wissenschaftliche Fakten hinwegzusetzen. Nur im Kontext ihres großartigen psychologischen und philosophischen Gesamtwerkes gewinnen solche Falschaussagen den Anschein einer gewissen Seriosität, die man von ihr erwartet und die man an ihr so sehr schätzt. Der Umstand aber, dass sie sich solcher Mittel bedient, entlarvt diese Feststellung als ideologisch motiviert. Nun erreichen ideologische Aussagen in der Regel andere Gesellschaftsgruppen als nüchterne wissenschaftliche Feststellungen. Erstere ,tendieren dazu, im Untergrund des öffentlichen Bewusstseins zu versickern und von dort aus unkalkulierbar zu wuchern und schließlich aktiv zu sein, während letztere nicht der Gefahr ausgesetzt sind, irgendwelche Blendwirkungen zu entfalten.

Ausgelöst haben die hitzigen und allzu oft ideologisch geführten Genderdiskussionen ein Unrechtsbewusstsein im Zusammenhang mit der Gleichstellung von Mann und Frau. Diese wird zwar allgemein angestrebt, doch versagt sich offensichtlich der Vorsatz dem tatkräftigen Umsetzungswillen. Ein hartes Kriterium für die Ungleichbehandlung ist die unterschiedliche Bezahlung vergleichbarer Leistungen; weniger plausibel ist das Ansinnen, die Gleichstellung über eine Quotenregelung zu erreichen. Nicht die Qualität regelt die Auswahl sondern reine Numerik. Das könnte als eine Art von Diskriminierung verstanden werden, wenn ausschließlich der Zahlenvergleich über die Übernahme einer Position entscheidet nicht aber die Qualität. Die Gleichstellung, wenn sie nun nicht auf diesem Weg zu erreichen ist, soll jetzt durch indoktrinierende Eingriffe in das Sprachsystem hergestellt werden. Das weibliche Geschlecht soll im allgemeinen Sprachgebrauch durch die Hinzufügung von *innen Erwähnung finden, dem männlichen Geschlecht also gleichgestellt werden. Ist es wirklich möglich, durch eine solche Sprach- und Schreibregelung das bestehende feminine Identifikationsdefizit zu beseitigen? Es ist zu kurz gedacht, das über Jahrhunderte gewachsene Ungleichgewicht zwischen Mann und Frau, auf diese Weise korrigieren zu wollen. Es klingt geradezu ärmlich, wenn das die Frucht des Geistes sein soll. Das Patriarchat ist Teil einer tradierten Kultur, nicht ein Kulturgut, vielmehr eine in die Kultur eingebrannte Last, die uns davon abhält, Gleichheit in der Vielfalt zu leben.

Die Lösung kann nicht darin liegen, Unterscheidungsmerkmale zu negieren. Mann und Frau sind nicht gleich! Sie sind aber, und das sollte man zur Kenntnis nehmen, gleichwertige Geschöpfe! Nehmen wir einen Korb mit unterschiedlichen Früchten. Jede Frucht hat etwas Eigenes; jede Frucht ist ein Eigenes! Warum sollten sich die Pflaumen als etwas Besseres wähnen? Statt zu versuchen, Denk- und Verhaltensmissstände über Sprach- und Schreibregulierungen zu beeinflussen, sollten wir nach den Gründen fragen, die uns davon abhalten, Vielfalt als Kostbarkeit zu begreifen und mit ihr respektvoll umzugehen. Beobachten wir das Verhalten von Menschen in Situationen, in denen angesichts einer bestehenden Meinungsverschiedenheit Klärungsbedarf besteht: es scheint eine Frage der Geduld zu sein, bis der Stärkere festlegt, was richtig oder falsch ist. Schlussendlich entscheidet der Muskel nicht zwangsläufig der Geist! Der Muskel klärt die Verhältnisse. Es war die Kirche, die aus der Not eine Tugend machte: „Die Frau sei dem Manne untertan.“ Das starke Geschlecht: welch tiefreichender, im religiösen Denken verankerter Irrweg! Ein Irrweg allerdings in zweierlei Weise. Zum einen lehrt es uns die vermeintlich unter-schiedliche Wertigkeit der Geschlechter, zum anderen trägt es dazu bei, Andersartigkeiten grundsätzlich unterschiedlich zu bewerten: Ein Schwarzer in einer Fußballmannschaft ruft heute schon Aufsehen hervor statt Glücksgefühle angesichts der lebendigen Vielfalt. Wider besseren Wissens gelingt es uns nicht, mit der Vielfalt umzugehen, sie wertzuschätzen, sie als Reichtum zu empfinden. Die Überheblichkeit als Ausdruck vermeintlicher Stärke haben wir offensichtlich ebenso verinnerlicht wie das Gefühl der Bedrohung durch alles, was als fremd wahrgenommen wird. Wir müssen unsere Einstellung zum Leben ändern; wir müssen an unserem kulturellen Bewusstsein arbeiten! Die Andersartigkeit im Anderen müssen wir schätzen, tolerieren und respektieren lernen! Stattdessen gehen wir mit einem großen Farbtopf in den Wald und versuchen die Vielfalt der unterschiedlichen Baumkulturen dadurch aufzuheben und sie einander anzugleichen, indem wir alle Blätter blau bemalen. Es muss alles gleich sein; dieses Verständnis von Gleichheit bedeutet das Ende des Lebens! In der Vielfalt zu leben bedeutet hingegen, das Leben voranbringen, es zu fördern! Mit dem Farbtopf sind wir nun unterwegs, Sprache und Schreibkultur zu vergewaltigen, um indivi-duelle Selbstwertdefizite aufzuarbeiten.

Wenn schon ein so einfältiges und unsinniges Ansinnen verfolgt werden soll, muss doch ein Restbestand an Verständnis hinsichtlich einer sich immer weiter entwickelnden Sprachkultur erkennbar bleiben. Beispiel: „Ich gehe zum Arzt“ Es wird nicht das männliche Geschlecht betont, sondern der Umstand zum Ausdruck gebracht, dass ich Hilfe benötige. Der Begriff „Arzt“ wird geschlechtsneutral gebraucht (generisches Maskulinum). Wer hierbei eine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts vermutet, hat Orientierungsprobleme und zeigt, dass er nicht bereit ist, sich in gewachsene Ordnungen einzufügen. Wer sich in diesem Zusammenhang nicht wertgeschätzt fühlt, muss sich selbstkritisch fragen, ob es nicht auch andere Gründe für sein gestörtes Selbstwertgefühl gibt. Nehmen wir den Begriff der Krankenschwester. Er ist kulturgeschichtlich entstanden und ist auch heute noch kulturgeschichtlich zu verstehen. Wie er entstanden ist, ist unschwer zu erklären: Es waren Frauen, die sich der Hilfe kranker Menschen angenommen haben. Die Patienten haben es sehr wohl geschätzt. Als Entscheidungsträger im Umfeld der Versorgung von kranken Menschen fungierte jedoch lange Zeit das männliche Geschlecht Als eine zufrieden stellende Beobachtung in diesem Zusammenhang kann erwähnt werden, dass heute mehr Frauen als Männer Medizin studieren. Allerdings stellt sich die Frage, ob eine Kaktusblüte je das empathische Vermögen einer Rose oder einer Lilie aufzubringen im Stande ist. Eine etwas verallgemeinernde Fragestellung. Ein Bruder ist eben nicht das gleiche wie eine Schwester. Tun wir uns etwas Gutes, die bestehenden Unterschiede bis zur neutralisierenden Nulllinie weg zu diskutieren? Nehmen wir den Begriff des Schulmeisters. Die korrekte Schreibweise heute ist: Schulmeister*innen; gemeint sind alle Schulmeister unabhängig von ihrem Geschlecht. Wenn aber zum Ausdruck gebracht werden soll, dass er oder sie sich wie ein Schulmeister benimmt, also schulmeisterlich, entsprechend seiner Doppelbedeutung, dann gerät die Eindeutigkeit der Aussage ins Wanken. Was diese Beispiele deutlich machen, ist, dass kulturgeschichtliche Inhalte von Begriffen nicht durch formale Veränderungen von Sprach- und Schreibgewohnheiten aufgehoben oder gar negiert werden können.

Bleiben wir aber noch bei der kulturgeschichtlichen bzw. zeitgeschichtlichen Betrachtung des sog. Gender- bzw. Identifikationsproblems. Immerhin geht es doch um die Wertbemessung der jeweiligen Geschlechter. Das weibliche Geschlecht fühlt sich nicht ernstgenommen, nicht gleichwertig behandelt. Das ist umso bedauerlicher, als Frauen über Fähigkeiten verfügen, die dem „Stärke“-Profil der Männer oftmals deutlich überlegen sind. Diese Fähigkeiten bleiben im allgemeinen gesellschaftlichen Leben ungenutzt. In vielen Bereichen wäre eine weibliche Attitüde im Denken und Handeln ein großer Gewinn! So ist der Weg zur Wertschätzung des weiblichen Geschlechts klar vorgegeben: Materielle und finanzielle Gleichstellung nicht nur als Deklaration sondern als schnellst mögliche Konsequenz! Es ist eine Frage des Respekts, eine Frage der Würde. Nun ist eine zeitgeschichtliche, materialistisch geprägte Entwicklung bedauerlicherweise gegenläufig. Auf Plakaten und in Journalen sehen wir die Weiblichkeit würdelos zum Anschauungs- und Spielobjekt verfremdet. Was also bedeutet Weiblichkeit in unserer Gesellschaft? Man wird sagen, dass das Eine mit dem Anderen nichts zu tun hat. Ist das so? Ist Würde teilbar? Sind Achtung, Respekt und Wertschätzung nicht Ausdruck einer inneren Haltung, einer die Kultur beeinflussenden Einstellung? Wir müssen uns fragen lassen, ob wir es ernst meinen, ob wir gewillt sind, den Willen zur „Gleichheit“ mit Inhalten zu füllen, wie Respekt und Würde. Es ist nicht erfor-derlich, Schreibgewohnheiten zu ändern; wir müssen unsere Sichtweise auf das andere Geschlecht hinterfragen; wir müssen unsere Haltung ändern! Nicht Gleichmacherei sondern Gleichheit in der von Respekt getragenen Vielfalt, das gilt es zu leben!

Es ist nicht klar und nicht verständlich, wie es möglich ist, dass die Öffentlichkeit dem über sie gekommenen Fluch der sonderbaren Sprach- und Schreibregulierung so bereitwillig Folge leistet. Blindwütend wird altes Kulturgut aufgegeben, vielleicht auch deshalb, weil von einer Kultur in Schrift und Sprache ohnehin immer weniger die Rede sein kann. Viele gehen dazu über, alles klein zu schreiben und natürlich macht sich dieser geistige Sozialismus auch in der Sprache bemerkbar. Wir geben eine Kultur auf, die sehr wohl mit Differenzierungen und dem Respekt gegenüber jeder Form von Andersartigkeit umzugehen weiß und übernehmen ohne Not kasernierende Maßregelungen, die in aberwitziger Form dort Regeln schaffen, wo wir bereit sind, Kultur leichtfertig aufzugeben. Erstaunlich ist, dass selbst die öffentlich Rechtlichen (ARD, ZDF) alles tun, dieser geistigen Unkultur widerstandslos den Weg zu ebnen. Dieser Fluch beinhaltet ein Gift von Contergan-artiger Wirkung; es verunstaltet! Kommen wir zur Einsicht! Nicht Schrift und Sprache müssen wir ändern sondern uns selbst!